Teilchenbeschleuniger MESA

Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) baut aus Fördermitteln des Exzellenzclusters "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA+) einen neuen Elektronenbeschleuniger auf dem Gutenberg-Campus. MESA und die dazugehörigen Experimente erstrecken sich über mehrere unterirdische Stockwerke sowie eine neue Experimentierhalle im Rahmen des Forschungsbaus "Centrum für fundamentale Physik". Im Laufe des Jahres 2024 soll erstmals ein Elektronenstrahl mit MESA erzeugt werden.


Wozu ein neuer Teilchenbeschleuniger?

In einem Linearbeschleuniger wie MESA werden elektrisch geladene Teilchen mithilfe von elektromagnetischen Wechselfeldern beschleunigt. Die Teilchen kollidieren im Experiment gezielt mit den Atomkernen von einem Hindernis (Target) und treffen dann auf Detektoren, die ihren Impuls bzw. ihre Energie und andere physikalische Größen messen. So können Forscher einerseits die Struktur von zusammengesetzten Teilchen aufklären: Am MESA-Beschleuniger wird unter anderem der Radius des Protons vermessen werden, der Forschern in den letzten Jahren Rätsel aufgegeben hat. Andererseits ermöglichen Beschleuniger die Suche nach kurzlebigen Teilchen, die manchmal bei den Kollisionen entstehen. So wird MESA beispielsweise zur Suche nach Dunklen Photonen beitragen. Diese könnten Hinweise zum Aufbau der Dunklen Materie geben, aus der wahrscheinlich ein großer Teil des Universums besteht.

Was macht MESA besonders?

Mit dem neuartigen energierückgewinnenden Betriebsmodus (engl. Energy Recovery Linac, ERL) wird MESA sehr energiesparend arbeiten. Dadurch erreicht der Beschleuniger eine extrem hohe Strahlintensität, die sonst nur mit einem immensen Energieaufwand machbar wäre: Sehr viele Teilchen werden auf eine winzige Fläche des Targets fokussiert. Es finden entsprechend viele Teilchenkollisionen in kurzer Zeit statt. Das ermöglicht die Suche nach sehr seltenen Ereignissen, wie beispielsweise dem Zerfall von Dunklen Photonen oder anderen, bisher unbekannten Teilchen. Außerdem wird MESA eine sehr hohe Strahlqualität aufweisen: Alle Elektronen erhalten im Beschleuniger genau die gleiche Bewegungsenergie von 155 MeV. Das sind optimale Voraussetzungen für wichtige Präzisionsexperimente.

Forschung und Experimente

Der MESA-Beschleuniger bietet optimale Voraussetzungen für neuartige Experimente, mit denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Grenzen des Standardmodells der Teilchenphysik untersuchen wollen. Dieses Modell beschreibt die Eigenschaften und Wechselwirkungen von Elementarteilchen - also der kleinsten Bausteine der Materie wie beispielsweise Elektronen, Neutrinos und Quarks. Es liefert Erklärungen für zahlreiche Vorgänge in der Natur, jedoch gibt es noch eine Vielzahl an offenen Fragen, dazu zählen:

  • Aus was besteht die Dunkle Materie, die offenbar einen Großteil des Universums ausmacht?
  • Warum gibt es im Universum so viel mehr Materie als Antimaterie?

Die Präzisionsexperimente am MESA-Beschleuniger spielen eine Schlüsselrolle zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen. Die entsprechende Hardware wird derzeit bei PRISMA+ entwickelt. Zwei der Experimente, P2 und MAGIX, befinden sich bereits in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium.


Das P2 Experiment: der elektroschwache Mischungswinkel

P2 ist ein Experiment zur hochpräzisen Messung einer wichtigen Naturkonstante, nämlich des Mischungswinkels der elektroschwachen Vereinheitlichung. Seine Messung ist essentiell, weil er uns Auskunft über grundlegende Eigenschaften der Wechselwirkung zwischen den Elementarteilchen gibt. Zusätzlich ermöglicht seine Bestimmung Einsicht in physikalische Phänomene wie die Dunkle Materie oder andere neue Kräfte. Die bei P2 angestrebte relative Genauigkeit von 0,1% übertrifft existierende Messungen bei niedrigen Energien um mehr als eine Größenordnung. Diese Steigerung bei niedrigen Energien ist besonders für die Suche nach Hinweisen für Erweiterungen des Standardmodells von Belang und kann so neue Belege für Erweiterungen des Standardmodells liefern. Das P2-Experiment vermag die Effekte neuer Teilchen in einem Massenbereich von etwa 50 MeV bis 6,4 TeV aufzulösen und ist damit komplementär zu der direkten Suche nach derartigen Teilchen am LHC.


MAGIX: Das MESA Gas Interne Target Experiment

MAGIX ist ein Vielzweckspektrometer, welches die präzise Messung der Formfaktoren des Protons bei niedrigsten Impulsüberträgen ermöglicht. Dies wird entscheidend zur Aufklärung der bisherigen Widersprüche in der experimentellen Bestimmung des Protonradius (das so genannte Protonradius-Puzzle) und zur Suche nach Anhaltspunkten für die Dunkle Materie beitragen. Mit seiner einzigartigen Kombination aus einer Spektrometeranlage und einem fensterlosen Gas-Target nimmt MAGIX eine absolute Vorreiterrolle im experimentellen Design ein. Für das Experiment wird im energierückgewinnenden Arm von MESA ein Gasstrom mit überschallgeschwindigkeit in die Strahlführung eingeleitet, der mit einem kleinen Bruchteil der beschleunigten Elektronen kollidiert. Mit Hilfe der zwei Magnetspektrometer, die sich auf einer Kreisbahn um den Kollisionspunkt anordnen lassen, kann nun der Winkel und der Impuls der abgelenkten Elektronen bestimmt werden.


BDX@MESA: das Strahlfänger-Experiment

Die Erzeugung von Dunkle-Materie-Teilchen und die Detektion ihrer Zerfallssignaturen wird im Strahlfänger-Experiment BDX@MESA verfolgt. Hierbei benutzt man den Strahlfänger des Beschleunigers als Target zur Erzeugung der Dunkle-Materie-Teilchen. Diese wären in diesem Fall hochenergetisch, so dass eine Sensitivität für Massen bis hinab in den MeV-Bereich gegeben wäre, sofern die volle Kollisionsrate des Beschleunigers (bei MESA >10 hoch 22 Elektronen am Target) ausgenutzt wird. Mainzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kooperieren mit der BDX-Kollaboration, die Strahlfänger-Experimente an verschiedenen Elektronenbeschleunigern weltweit im Hinblick auf Ausschlussgrenzen für dunkle Materie analysiert. Ein künftiges Strahlfänger-Experiment an MESA wird die Sensitivität auf leichte dunkle Materie signifikant erhöhen. Dieses Experiment, das parallel zur P2-Datennahme laufen wird, profitiert von der extrem hohen Intensität des MESA-Beschleunigers.


Bau- und Funktionsweise im überblick

MESA ist ein Teilchenbeschleuniger, der die erst vor wenigen Jahren entwickelte Energierückgewinnungs-Technologie (engl. Energy Recovery Linac, ERL) einsetzt. Mit dieser Technik kann die Energie der beschleunigten Elektronen wieder zurückgewonnen werden und damit zwei Drittel der benötigten Leistung konventioneller Beschleuniger eingespart werden. MESA wird weltweit der erste Beschleuniger sein, der diese supraleitende, energierückgewinnende Technik für Forschungszwecke einsetzt und kann so die Effizienz von existierenden Beschleunigern um ein Vielfaches übertreffen. Im ERL-Modus werden bis zu 10 hoch 35 Elektronen pro Sekunde auf einen Quadratzentimeter eines Targets treffen - sogar mehr als im Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum CERN in Genf. Durch seine Vorreiterrolle dient MESA zudem als Testumgebung für andere Forschungsanlagen, wie z.B. dem geplanten LHeC (Large Hadron Electron Collider) in Genf.


Zwei Betriebsarten

Die Konzeption des MESA-Beschleunigers sieht zwei Betriebsmodi vor, die als Grundlage für vollkommen unterschiedliche Klassen von Experimenten dienen. Der Betriebsmodus mit einem extrahierten Strahl ("extracted beam") ist hauptsächlich für das P2-Experiment und das BDX@MESA Experiment vorgesehen. Hierbei treffen sogenannte spinpolarisierte Elektronen auf das Target im P2-Experiment.

In dem energierückgewinnenden (engl. Energy Recovery Linac, ERL) Modus des MESA-Beschleunigers ergibt sich weltweit erstmals die Möglichkeit, einen hochintensiven ERL-Strahl in Kombination mit einem internen Gas-Target zu betreiben. Daraus resultieren extrem saubere Experimentierbedingungen für Präzisionsexperimente mit dem Vielzweckspektrometer MAGIX. Hierbei geben die Elektronen ihre Energie wieder an das SRF-System (Superconducting Radio Frequency System) ab, bevor sie das System verlassen - ähnlich wie bei einem Hybrid-Auto, bei dem die Bewegungsenergie durch das Bremsen in die Batterie zurückgeführt wird.


Die Hauptbestandteile des Beschleunigers

Teilchenquelle

An der Teilchenquelle wird der Elektronenstrahl erzeugt und mit 100.000 Volt beschleunigt. Die Elektronen bewegen sich dann mit etwa der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit. Mit Hilfe von Magneten wird der Strahl zur nächsten Station, dem Vorbeschleuniger, transportiert und auf dessen Anforderungen angepasst.


Vorbeschleuniger

Vier Hochfrequenzsektionen bilden den Vorbeschleuniger. Er beschleunigt den niederenergetischen Elektronenstrahl auf die Einschussenergie des MESA-Beschleunigers, indem er den Elektronen immer wieder im entscheidenden Moment einen Impuls überträgt.

Elektromagnete

Um die Bewegung der Elektronen im Beschleuniger steuern zu können, wird eine große Anzahl Elektromagnete benötigt. Mit deren Hilfe wird der Elektronenstrahl zum einen gelenkt und zum anderen gebündelt.


Supraleitende Hohlraumresonatoren (SRF-System)

Diese bilden das Rückgrat des MESA-Beschleunigers und werden dazu verwendet, die Elektronen mit Energie zu versorgen, indem diese in einem elektromagnetischen Feld beschleunigt werden. Um die Beschleunigung effizient zu gestalten, müssen die Strukturen mit Hilfe von flüssigem Helium auf eine Temperatur von -271 °C abgekühlt werden.


Kryomodul

Hier wird das SRF-System stark abgekühlt. Der Aufbau ähnelt dem einer Thermoskanne: Es gibt ein inneres Gefäß, in dem das SRF-System im flüssigen Helium schwimmt und zwischen diesem Gefäß und dem Außentank wird ein Vakuum erzeugt, damit von außen möglichst keine Wärme eindringt.

Das Abkühlen der supraleitenden Kavitäten am Teilchenbeschleuniger MESA

Zum Abkühlen der supraleitenden Kavitäten auf niedrige Temperaturen nutzen die Wissenschaftler der JGU flüssiges flüssigen Stickstoff (bis auf ca. 77 Kelvin) und flüssiges Helium (bis auf 2 Kelvin). Das Abkühlen ist ein wichtiger Schritt beim Bau des Teilchenbeschleunigers MESA am Exzellenzcluster PRISMA+.

Das Abdecken des Bunkers mit den supraleitenden Kavitäten vor dem Start der Hochfrequenztests

Nach dem erfolgreichen Abkühlen der MESA-Kryomodule werden als nächstes die hochfrequenten Radiofrequenztests durchgeführt einschließlich der Messungen der Qualitätsfaktoren der verwendeten supraleitenden Resonatoren. Da Röntgen- und Gammastrahlen im Hochfeldbetrieb auftreten können, müssen vor den geplanten Aktivitäten die Strahlenabschirmung des Moduls mit Blei- und Betonsteinen abgeschlossen werden.

Exzellenzcluster PRISMA+: Auf der Suche nach neuer Physik

Wir wissen bereits einiges über die kleinsten Bausteine der Materie und über die Kräfte, die im Kosmos wirken. Aber klar ist auch: Wir wissen längst nicht alles. Viele Fragen sind offen, darunter die nach der Dunklen Materie: Aus was besteht sie und was ist die geheimnisvolle Dunkle Energie? Warum gibt es mehr Materie als Antimaterie im Universum? Und welche Rolle spielen die Geisterteilchen - die Neutrinos - im frühen Universum?

PRISMA+: Der Teilchenbeschleuniger MESA

Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) baut aus Fördermitteln des Exzellenzclusters "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA+) einen neuen Elektronenbeschleuniger auf dem Gutenberg-Campus.